Die dunkle Seite der Hilfsbereitschaft

„Ich bin so müde und mag nicht mehr“, waren die Worte einer Kundin, nennen wir sie Sabine, die vor ein paar Wochen bei mir war. Sie arbeitet als Executive Assistentin in einem grossen internationalen Konzern. Ihr Job gefällt ihr eigentlich sehr gut. Aber die Arbeitslast sei einfach nicht mehr zu machen. Sie steht um 05:00 Uhr auf, um bereits einige E-Mails zu erledigen, bevor sie die Kinder wecken muss. Dann geht sie zur Arbeit, bei der sie sich keine Pausen gönnt und Abends, wenn die Kinder im Bett sind, arbeitet sie meist auch nochmals ein bis zwei Stunden. „Und nun fragt meine Kollegin auch noch, ob ich ihre Stellvertretung machen kann und ich weiss nicht, was ich machen soll!“, erzhält sie verzweifelt. „Nein sagen?“ ist mein vorsichtiger Vorschlag. Sie schaut mich sehr überrascht an und es herrscht Ruhe im Raum.  Wir merken beide schnell, dass „nein sagen“ für sie bisher gar keine Option war. Irgendwann lacht sie. Ein Lachen zwischen Verzweiflung und Erleichterung.

Nein ist ein Wort, dass Sabine eigentlich nie benutzte. Jede zusätzliche Aufgabe hat sie jederzeit übernommen. Fragen von Kollegen und Kolleginnen hat sie immer sofort beantwortet und am besten gleich angeboten, es für sie zu machen. Auch Stellvertretungen hat sie immer möglich gemacht und wenn der Chef angerufen hat, hat Sabine alles stehen und liegen lassen. Und immer ganz egal, ob es ihr Aufgabengebiet betraf oder nicht. Irgendwann war Sabine so überlastet mit Aufgaben, welche gar nicht ihre waren, dass die eigene Arbeit liegen blieb und morgens früh oder abends spät erledigt werden musste. Und sie hatte keine Ahnung, wie sie die anderen Aufgaben wieder loswerden konnte.

Wie Sabine geht es ganz vielen Menschen. Besonders betroffen davon sind aber Frauen, da wir rein biologisch eher darauf ausgerichtet sind, sozial orientiert zu sein. Die Erziehung und die Gesellschaft, welche meist darauf ausgerichtet sind, dass Mädchen brav und angepasst sein sollten, tun ihr Übriges. Das Resultat sind Frauen, die sich vor allem auf die Interessen der Mitmenschen konzentrieren und die ganz feine Sensoren haben für die Bedürfnisse der anderen – ihre eigenen aber nicht mehr spüren und sich schon gar nicht mehr dafür einsetzen. Einzig das Bedürfnis nach Harmonie spüren sie sehr gut. Dahinter steckt aber kein echtes Bedürfnis, sondern oft die Angst vor Konflikten und Ablehnung. Diese Verhaltensmuster funktionieren lange gut. Aber vorwiegend endet es irgendwann in einer grossen Unzufriedenheit, Schlafstörungen, Depressionen oder Burn-out. Und der Ausweg? Nein sagen!

Warum nein sagen so schwer ist

Es ist ein so kleines Wort, das manchmal so schwer ist zu sagen. Warum das so ist, kann verschiedene Hintergründe haben. Zu suchen sind sie aber alle in unseren Glaubenssätzen und unbewussten Überzeugungen.

Als Kinder haben wir Dinge über die Welt gelernt. „Man muss hilfsbereit sein“, „wenn ich brav und angepasst bin, werde ich geliebt“, „ich muss unkompliziert sein“, „Konflikte sind bedrohlich“, „Egoismus ist schlecht“ und da gibt es viele mehr. Denkmuster wie diese haben wir aus unserer Kindheit übernommen und tragen sie als Erwachsene in uns mit. Sandras Mutter war Krankenschwester. Schon als Kind hat sie gelernt, dass „man“ sich um andere kümmert. Sie selber musste sich sehr oft um ihre drei jüngeren Geschwister kümmern und hat dafür Lob und Anerkennung der Eltern erhalten. Sich kümmern, gehört bei ihr also zum Programm. So stark, dass sie vergisst, dass es auch darum gehen würde, sich um sich selber zu kümmern.

„Ein Nein zu anderen
ist ein JA zu sich selber“

Ein Nein auszuhalten ist nicht einfach und für Menschen wie Sabine besonders schwer. Gerade zu Beginn ist es erst einmal die Aufgabe, überhaupt zu spüren, wann wir Ja sagen und eigentlich Nein meinen. Es sind Automatismen, die sich über Jahre und Jahrzehnte eingespielt haben. Ein erster Schritt ist das Bewusstsein, dass wir Ja zu uns selber sagen dürfen und damit wieder besser lernen zu spüren, was wir selber gerade brauchen und wollen.

Nein sagen kann man lernen

Die gute Nachricht ist, dass man Nein sagen lernen kann. Die schlechte ist, dass es nicht einfach ist und es auch ungute Gefühle auszuhalten gilt. Aber: Es lohnt sich auf jeden Fall und die unguten Gefühle werden weniger und irgendwann erfüllt es einem mit Stolz, wenn man endlich mal ohne schlechtes Gewissen Nein sagen konnte.

Jeden Tag ein kleines Nein. Das ist zu schaffen! Überlege dir, wo es dir am einfachsten fällt und nimm das als Übungsfeld. Einigen fällt es im privaten Rahmen einfacher, anderen im Geschäft oder beim Verein. Beginne da, wo du dich am sichersten fühlst. Sage Nein zu einer Stellvertretungsanfrage, zu einer Einladung oder bei der Bitte um Hilfe beim Umzug. Und dann weite es aus und du wirst merken, dass jedes Nein eine neue Wahrheit stärkt, die heisst, dass ein gesunder Egoismus gut und richtig ist.

Achte dich zudem auf folgendes:

  • Vermeide lange Erklärungen. Es braucht nicht immer lange Erklärungen für dein Nein. Manchmal genügt ein „Nein danke“ oder „Leider kann ich nicht“.
  • Entschuldige dich nicht. Dein Nein braucht keine Entschuldigung! Du stehst für dich, deine Bedürfnisse und deine Grenzen ein. Dafür musst du dich nicht entschuldigen.
  • Beobachte dich, wann es dir leicht fällt und wann nicht. Übe noch mehr in den einfacheren Übungsfeldern und wage dich immer mehr auch auf die schwierigeren Situationen zu. Übung macht den Meister! 🙂

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